Urteil des BGH vom 22.02.2010, AZ: VI ZR 91/09
Verweis auf günstigere Reparatur in freier Werkstatt bei Gleichwertigkeit der Reparatur im
Rahmen der fiktiven Abrechnung möglich
Leitsatz:
Der Schädiger darf den Geschädigten im Rahmen der fiktiven Schadensabrechnung unter dem Gesichtspunkt
der Schadensminderungspflicht im Sinne des § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere und vom
Qualitätsstandard gleichwertige Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen
"freien Fachwerkstatt" verweisen, wenn der Geschädigte keine Umstände aufzeigt, die ihm eine Reparatur
außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar machen (Bestätigung des Senatsurteils
vom 20. Oktober 2009 - VI ZR 53/09 - zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen).
Erläuterungen:
Mit Urteil vom 23.02.2010 entschied der Bundesgerichtshof erneut über die umstrittene Frage, ob der
Geschädigte im Rahmen der fiktiven Schadensabrechnung die Stundenverrechnungssätze einer
markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen darf oder ob er sich vom Schädiger auf eine günstigere
Reparaturmöglichkeit in einer freien Werkstatt verweisen lassen muss.
Bereits im so genannten Porscheurteil (Urteil vom 29.04.2003, AZ: VI ZR 398/02) sowie im so genannten
VW-Urteil (Urteil vom 20.10.2009, AZ: VI ZR 53/09) stellte der Bundesgerichtshof fest, dass grundsätzlich
der Verweis auf eine günstigere Reparatur in einer für den Geschädigten mühelos und ohne Weiteres
zugänglichen freien Werkstatt durch den Schädiger zulässig ist. Es muss jedoch die Gleichwertigkeit des
Qualitätsstandards der Reparatur in der freien Werkstatt mit demjenigen in der Markenwerkstatt gegeben
sein, was vom Schädiger zu beweisen ist. Wann eine solche Gleichwertigkeit vorliegt, ließ der
Bundesgerichtshof bislang offen. Nunmehr bejahte der Bundesgerichtshof im konkreten Fall die Gleichwertigkeit
bei Vorliegen folgender Kriterien:
Die vom regulierungspflichtigen Haftpflichtversicherer aufgeführten Verweiswerkstätten waren Mitglied des
Zentralverbandes Karosserie und Fahrzeugtechnik und zertifizierte Meisterbetriebe für Karosseriebau und
Lackierarbeiten, deren Qualitätsstandard regelmäßig vom TÜV oder von der DEKRA kontrolliert wurden.
Die Werkstätten verwendeten ausschließlich Originalersatzteile und gewährten den Kunden mindestens drei
Jahre Garantie. Soweit bejahte der Bundesgerichtshof die Gleichwertigkeit der Reparaturmöglichkeit vom
Qualitätsstandard her mit der Reparatur in einer Markenwerkstatt.
Gleichzeitig ergibt sich aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofes jedoch auch, dass der Verweis auf eine
günstigere Reparaturwerkstatt für den Geschädigten durchaus auch unzumutbar sein kann. Insbesondere
wenn das Fahrzeug regelmäßig in einer Markenwerkstatt gewartet und repariert wurde, also
„scheckheftgepflegt" ist.
Der Bundesgerichtshof betonte weiterhin, dass ein Verweis auf eine freie Werkstatt nur dann in Betracht
kommen kann, wenn es sich bei den günstigeren Preisen auch um die marktüblichen Preise der
Reparaturwerkstatt handelt, die für jeden Kunden frei zugänglich sind, was im konkreten Fall jedoch zu
bejahen war.
Im Ergebnis kann der Geschädigte also unter Umständen auf die Reparaturmöglichkeit in einer freien
Fachwerkstatt verwiesen werden, jedoch muss zunächst vom Schädiger dargelegt und bewiesen werden,
dass die Reparatur vom Qualitätsstandard her gleichwertig mit der Reparatur in der Markenwerkstatt ist.
Darüber hinaus führen auch die Tatsachen, dass das Fahrzeug scheckheftgepflegt ist oder nicht älter
als drei Jahre ist, von vornherein zur Unzumutbarkeit der Verweisung auf eine Reparaturmöglichkeit
außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt, ohne dass es auf die Gleichwertigkeit der Reparatur
ankommt.
Aus den Gründen:
… b) Will der Schädiger bzw. der Haftpflichtversicherer des Schädigers den Geschädigten unter dem
Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht im Sinne des § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere
Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne weiteres zugänglichen "freien Fachwerkstatt" verweisen,
muss der Schädiger darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt
vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht.
Nach den insoweit unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts handelt es sich bei der von der
Beklagten aufgezeigten Reparaturmöglichkeit bei der Firma J. um eine im Vergleich zu einer Reparatur in
einer markengebundenen Fachwerkstatt günstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit.
Die Unfallschäden am Fahrzeug des Klägers würden unter Verwendung von Originalersatzteilen in einem
zertifizierten Meisterbetrieb für Lackier- und Karosseriearbeiten, der Mitglied des Zentralverbandes
Karosserie- und Fahrzeugtechnik ist, instand gesetzt, dessen Qualitätsstandard regelmäßig von
unabhängigen Prüforganisationen kontrolliert wird. Den Kunden dieser Fachbetriebe werden drei
Jahre Garantie gewährt.
3. Die Revision zeigt keine Gesichtspunkte auf, die es dem Kläger unzumutbar machen könnten, die ihm von
der Beklagten aufgezeigte günstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit wahrzunehmen.
a) Soweit die Revision wegen der Entfernung der Firma J. vom Wohnort des Klägers (21 km) Zweifel daran
äußert, dass diese Fachwerkstatt dem Kläger ohne weiteres zugänglich sei, hat bereits das Berufungsgericht
zutreffend darauf hingewiesen, dass der Kläger in den Instanzen nicht aufgezeigt hat, dass sich eine
markengebundene Fachwerkstatt in einer deutlich geringeren Entfernung zu seinem Wohnort befindet.
Weiterhin zeigt die Revision keine konkreten Anhaltspunkte dafür auf, dass es sich bei den Preisen der
Firma J. nicht um deren (markt-)übliche Preise (vgl. hierzu Senatsurteil vom 20. Oktober 2009 - VI ZR 53/09 - aaO),
sondern um Sonderkonditionen aufgrund vertraglicher Vereinbarungen mit der Beklagten handeln könnte.
Die Revisionserwiderung weist insoweit zutreffend darauf hin, dass die Beklagte mit Schriftsatz vom
25. Juli 2008 klargestellt habe, dass die Preise von einem unabhängigen Prüfinstitut ermittelt würden und
daher auch jedem anderen frei zugänglich seien. Da sich die (markt-) üblichen Preise eines Fachbetriebes
im Allgemeinen ohne weiteres in Erfahrung bringen lassen und der Kläger in diesem Zusammenhang
nichts Abweichendes mehr vorgetragen hat, war das Berufungsgericht im Rahmen des ihm zustehenden
Ermessens bei der Schadensschätzung nach § 287 ZPO aus Rechtsgründen nicht mehr gehalten, diesen
Gesichtspunkt weiter aufzuklären.
c) Soweit die Revision schließlich meint, die Gleichwertigkeit der von der Beklagten aufgezeigten
Reparaturmöglichkeit fehle schon deshalb, weil dem Kläger nur von seiner Markenwerkstatt drei Jahre
Garantie gewährt würden, auf die er einen Käufer hätte verweisen können, wird übersehen, dass nach den
unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts dem Kläger auch bei einer Reparatur durch die
Firma J. auf deren Arbeiten eine Garantie von drei Jahren gewährt würde.
d) Weitere Umstände, die es dem Kläger gleichwohl unzumutbar machen könnten, sich auf eine technisch
gleichwertige Reparaturmöglichkeit außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt verweisen zu lassen
(vgl. hierzu Senatsurteil vom 20. Oktober 2009 - VI ZR 53/09 - aaO), zeigt die Revision nicht auf. Nach den
Feststellungen des Berufungsgerichts war das Fahrzeug des Klägers zum Zeitpunkt des Unfalls bereits mehr
als 8 ½ Jahre alt und hatte eine Laufleistung von 139.442 km. Bei dieser Sachlage spielen Gesichtspunkte
wie die Erschwernis einer Inanspruchnahme von Gewährleistungsrechten, einer Herstellergarantie und/oder
von Kulanzleistungen regelmäßig keine Rolle mehr. Zwar kann auch bei älteren Fahrzeugen die Frage
Bedeutung haben, wo das Fahrzeug regelmäßig gewartet, "scheckheftgepflegt" oder gegebenenfalls nach einem
Unfall repariert worden ist. In diesem Zusammenhang kann es dem Kläger unzumutbar sein, sich auf eine
günstigere gleichwertige und ohne weiteres zugängliche Reparaturmöglichkeit in einer freien Fachwerkstatt
verweisen zu lassen, wenn er konkret darlegt, dass er sein Fahrzeug bisher stets in der markengebundenen
Fachwerkstatt hat warten und reparieren lassen oder - im Fall der konkreten Schadensberechnung - sein
besonderes Interesse an einer solchen Reparatur durch die Reparaturrechnung belegt (vgl. Senatsurteil vom
20. Oktober 2009 - VI ZR 53/09 - aaO). Diese Voraussetzungen liegen nach den Feststellungen des
Berufungsgerichts im Streitfall nicht vor. Soweit die Revision nunmehr die Gleichwertigkeit der Reparatur bei
der Firma J. mit der Begründung in Abrede stellen will, dass es sich nicht um die markengebundene
Vertragswerkstatt handele, bei der der Kläger sein Auto gekauft habe und auch habe warten und bei
erforderlichen Reparaturen instand setzen lassen, zeigt sie nicht auf, wo der Kläger in den Instanzen
entsprechenden - vom Berufungsgericht übergangenen - konkreten Sachvortrag gehalten hat. In der
Revisionsinstanz ist neuer Sachvortrag grundsätzlich rechtlich unbeachtlich (vgl. § 559 ZPO). ...